Lesbos – Ein Appell an die Menschlichkeit

Seit Monaten lassen mich die Videoaufnahmen und zahlreichen Bilder von Moria nicht los. Ich kann nicht fassen, wie die Menschen dort leben müssen.

Die Politik diskutiert und die meisten Menschen schauen weg. Die unbequeme Wahrheit tut weh.

Doch ich möchte, dass die Menschen hinsehen. Ich organisiere eine Spendenaktion in meiner Schule, zahlreiche Kinder und Jugendliche sind von den Schicksalen der geflohenen Menschen auf Lesbos berührt. Sie bringen Geschenke, Briefe, Schulmaterialien, liebevoll eingepackt und kreativ ausgesucht. Es geht um die Symbolik, um die Anteilnahme.

Eine Mutter schreibt mir einen bewegenden Brief vor meiner Abreise: „Gerade als Lehrerin ist es heute so wichtig, ein menschliches Vorbild zu sein und Nächstenliebe großzuschreiben.“ Ich bin berührt und bestärkt in meiner Entscheidung meine Herbstferien auf Lesbos mit den geflohenen Menschen zu verbringen.

Mit einem Koffer randvoll mit Spenden und meiner Kamera mache ich mich auf den Weg.

Ich wohne bei Fabiola. Sie ist vor fünf Jahren als freiwillige Helferin auf die Insel gekommen und seitdem nicht mehr gegangen. Seit einem Jahr behandelt sie in ihrem kleinen bunten Container im Kara Tepe Camp Menschen, die nirgendwo anders gehört werden.


Sie arbeitet nicht nur am Körper, sondern auch an der Seele ihrer Patienten und dies unentgeltlich. Sie berührt die Menschen im Herzen, schafft es, dass sie sich öffnen und ihre traumatischen Erlebnisse langsam verarbeiten.
Für viele Menschen sind Fabiola und ihr Container ein Ort der Hoffnung und der körperlichen und seelischen Rehabilitation.
Ich begleite sie mehrfach und höre den Menschen zu. Ich höre die schlimmsten Geschichten, die man sich vorstellen kann. Mütter erzählen mir von Babys, die das schwarze Meer geschluckt hat. Väter erzählen mir von Schüssen, die sie gelähmt haben. Mädchen erzählen mir von Träumen, die sich niemals erfüllen werden. Söhne erzählen mir von ihren Müttern, die sie so schmerzlich vermissen. Es sind Schicksale so schwer, dass ich zum Teil den Raum verlassen muss.

Diese traumatisierten Menschen in Zelten leben zu lassen, die weder Sturm noch Regen aushalten, ihnen Duschen, Matratzen und ausreichende medizinische Versorgung zu verwehren ist nicht richtig. Die Geflohenen auf Lesbos leben in einem Slum, der sich nicht aus einer humanitären Krise, sondern aus einem politischen Spiel resultiert. Was den Menschen dort zugefügt wird ist inhuman.

An zwei Tagen regnete es stark. Ich erlebte mit wie die Zelte überflutet wurden, es gibt keine Paletten unter den Zelten, der Regen hat erbarmungslos die wenigen überbliebenen Habseligkeiten der Menschen durchnässt. Menschen baden sich im salzigen und kalten Meer. Die Menschen sind seelisch am Ende. Die Vorstellung, dass im Winter die Temperaturen absinken und es zu vermehrten Regenfällen kommt, ist für mich unerträglich.

Neben dem „neuen Moria“ Camp, gibt es zwei weitere Camps, Kara Tepe und Pikpa. In diesen Camps leben stark geschwächte Menschen, Familien mit kleinen, oftmals kranken Kindern sowie gehandicapte Menschen. Das Wahlversprechen des amtierenden Bürgermeisters lautet, diese beiden Camps zu schließen. Das wäre der mentale Untergang der Menschen, die dort leben. Die Deportation in das neue „Moria“ Camp würden nicht alle überleben.

Mit meinen Bildern und Geschichten möchte ich, dass wir hinter „den Geflüchteten“ Persönlichkeiten, Gesichter und Schicksale sehen. Es sind Töchter, Söhne, Mütter, Väter.

Wir Menschen sind so viel stärker und mächtiger als wir denken. Wir können aufstehen. Wir können etwas bewirken. Wir können etwas ändern, auch wenn es nur für einen anderen Menschen ist. Wenn wir einen Zustand als ungerecht und nicht akzeptabel empfinden dann müssen wir ihn nicht hinnehmen. Ich bin eine privilegierte weiße Frau. Geboren in einem den wohlhabendsten Ländern der Erde. Ich kenne keine Nöte. Ich lebe im Überfluss.  Es ist der Zweck meiner Existenz, von dem was ich im Überfluss habe, Menschen in größter Not etwas abzugeben. Auch wenn es nur eine menschliche Berührung ist. Auch wenn es nur Zuhören ist, um ein klein bisschen ihres Ballastes auf meine Schultern zu packen.

Wir Menschen müssen aktiv werden, dem Hamsterrad entkommen und für eine bessere Zukunft aller Menschen kämpfen.

Da Fabiolas Arbeit einzig und allein auf Spenden basiert fehlt es an allen möglichen wichtigen Dingen. An Elastik-Bändern, Bällen, Bandagen, speziellen Rollstühlen, Gehlernhilfen usw.
Möchtet ihr sie unterstützen, dann schaut auf ihrer Homepage www.theearthmedicine.com

„I have a backpack full of hope. I am strong enough to carry it till the end of the road that is called peace” (-Anis, 17 Jahre aus Afghanistan, seit 2 Jahren auf Lesbos)

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